Ich bin Tamara und gehöre zu den Menschen, die sich durch zwei Schicksalsschläge beruflich neu sortiert und ausgerichtet haben. Ich hatte keine Nahtoderfahrung und kein spirituelles Erlebnis. Ich wurde nicht erleuchtet, aber ich habe gelernt, mir selbst und anderen ein bisschen Licht in dunkle Zeiten zu bringen.

Ich wollte nicht, dass meine Tochter 2010 kurz vor ihrer Geburt unerwartet in meinem Bauch verstirbt. Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen, bevor sie das Licht dieser Welt erblicken durfte. Ich wollte keine Trauergruppe besuchen und ich wollte schon gar keine Trauernde sein. Ich wollte keinen Rückbildungskurs für Verwaiste Mütter mitmachen, alles in mir sträubte sich. Ich wollte etwas ganz anderes, nämlich Normalität. Mit meinem Kind zusammen sein, fröhlich und unbeschwert sein. Meine Agentur lief super, mein Mann und ich wollten heiraten und in seiner Elternzeit wollte ich wieder anfangen zu arbeiten.

Ich hatte einen f*ing Plan! Und der Tod kam mir dazwischen.

Ich fand mich in einer Trauergruppe wieder und merkte, dass das Aussprechen von Gefühlen sowie das Teilen von Erfahrungen wirklich hilfreich ist. Die anderen Eltern dort hatten alle eine ähnliche Erfahrung wie wir gemacht. Ich habe mich sofort angenommen und verstanden gefühlt. Es war nicht nötig, viel zu erklären. Wir waren alle eine Gemeinschaft, die ihr Kind verloren und jetzt mit den Folgen umzugehen hatte. In der Trauergruppe lernten wir, mit dem Verlust umzugehen und mit unserer Trauer zu leben. Das hat uns verbunden und uns Kraft gegeben. Heute weiß ich, dass Gemeinschaft ein ganz wichtiger Faktor ist, wenn man seine seelische Widerstandkraft stärken möchte. Soziale Beziehungen helfen uns, viel besser durch eine Krise zu gehen oder schneller Krankheiten zu überstehen.

Acht Monate später heirateten mein Mann und ich. Es war eine rauschende Party und wir erlaubten uns das erste Mal wieder, Freude zuzulassen. Mit dem Fest gab es wieder etwas, was wir planen und organisieren konnten. Trotz allem.

Mein Mann sagte damals: „Wir werden der Trauer die Stirn bieten.“

Unser Hochzeitswochenende war Heilung und Segen zugleich. Unsere Freunde und Familie, sie waren alle da. Es wurden Songs gespielt, Gedichte gesprochen, Reden gehalten, ein Film gezeigt. Es wurde bis in die Morgenstunden getanzt, gejubelt und gesungen. Alle zeigten mit ihrer Anwesenheit und ihren kreativen Beiträgen so unglaublich viel Solidarität. Und irgendwie glaube ich, dass sie alle auch erleichtert waren, dass wir uns von dem Verlust unserer Tochter nicht unterkriegen lassen. Wir haben uns zumindest viel Mühe damit gegeben…

Bei unseren Freunden und Familienmitgliedern führte auch die Nachricht einer erneuten Schwangerschaft zu Erleichterung und großer Freude.

Wir bekamen ein Regenbogenbaby. So nennt man Kinder, die nach einer Fehlgeburt oder stillen Geburt (Totgeburt) zur Welt kommen.

Im Trauerprozess wieder schwanger zu werden, kann man vor allem als ziemlich intensive Erfahrung bezeichnen.

Immer, wenn ich über die Geburt meines Sohnes 2012 spreche, denke ich: meine Güte, jetzt kommt ja wieder so eine Schicksalskeule. Wie schreibt man das am besten… Wie immer, ist es gut vom Ende aus zu denken: Mein Sohn lebt. Er ist die männliche Karla Kolumna aus Altona-Nord, also kontaktfreudig und neugierig. Er ist fröhlich und meistens sehr süß. Und er ist seit 2013 nierentransplantiert und damit von Geburt an chronisch krank. Mein Sohn ist ein kleiner Held, der seine Geburt fast nicht überlebt hätte. In der 20. SSW hat man schon gesehen, dass sich eine Urethralklappe nicht geöffnet hatte und das Nierenbecken gestaut war. Das Nierengewebe hat sich davon nicht erholt und mein Sohn war vom siebten Tag nach der Geburt an der Dialyse auf der Intensivstation. 10 Tage lang war er intubiert, sechs Wochen auf der Intensivstation und dann weitere Monate stationär aufgenommen. Insgesamt haben wir fast zwei Jahre mit kurzen Unterbrechnungen im Krankenhaus verbracht.

Diese Schwangerschaft war nicht nur eine emotionale Herausforderung, wie es für alle Frauen in einer Folgeschwangerschaft ist. Sie war eine Lektion in Hoffen, Beten, Abgrenzen, Trauern. Diese Schwangerschaft war eine Übung in Zuversichtlichkeit und des im Hier-und-Jetzt-Seins.

Die Zeit nach der Geburt war ein emotionales Feuerwerk. Ein Kampf im Überlebensmodus. Ein Dasein in der sogenannten „hohen Stresszone“. Ein Weg in die Akzeptanz und Selbstfürsorge. Beruflich war spätestens jetzt klar, dass ich meine Literarische Agentur nicht mehr fortführen würde.

Obwohl ich so eine belastende Krankenhauszeit über mehrere Jahre erlebt habe, so habe ich den Beginn meines zweiten Bildungsweges als tragende und stärkende Säule empfunden.

2011 habe ich eine Coachingausbildung begonnen und nun tauchte ich auch in die Systemische Mediation und dann auch in die Systemische Therapie ein. Das Lösungsorientierte an der systemischen Arbeit war genau richtig für mich. Ich brauchte genau diese neuen Sichtweisen auf meine Situation und ich hatte das Glück, ganz tolle Ausbilder zu haben, bei denen der Begriff „Lebendiges Lernen“ wirklich ein eingelöstes Versprechen war.

In meinen Weiterbildungsjahren habe ich mich immer auf die Themen Trauer, Belastungssituationen und Trauma fokussiert.

Ich habe darüber geforscht, meine Abschlussarbeiten geschrieben und Fortbildungen zu Familientrauer und Trauer nach Kindsverlusten besucht. Schon beim Besuch meiner Trauergruppe damals keimte der Wunsch, irgendwann einmal anderen Menschen zu helfen, mit dem Verlust ihres Kindes umzugehen. Nachdem ich vier Jahre lang eine intensive und vielseitige Therapie- und Coachingausbildung genossen und selbst viele, viele Coachings und Selbsterfahrungsseminare besucht hatte, wagte ich mich auch noch an den Heilpraktiker für Psychotherapie. Von der Stadt Hamburg habe ich 2016 die Zulassung erhalten, Menschen über Coaching und Beratung hinaus psychotherapeutisch auf ihrem Weg zu begleiten.

2017 begleitete ich meine erste Trauergruppe beim Verein Verwaiste Eltern und Geschwister. Durch einen Gründungszuschuss der Stadt Hamburg baute ich mir meine Selbständigkeit auf, mietete Praxisräume in Hamburg Eimsbüttel, die im Januar 2018 feierlich eröffnet wurden.

Ein absolutes Weiterbildungs-Highlight für mich war meine Trainer-Ausbildung bei CORESZON im Bereich Resilienz und Stressbewältigung. Endlich hatte ich für mich und meine Klienten einfache Techniken gefunden, wieder in meinen so genannten „Handlungsbereich“ zu kommen. Es darf auch einfach sein, sich wieder zu beruhigen und mit seinen Kraftquellen zu verbinden. 🙂

Diesen spannenden Methoden Mix aus körperbasierter Psychotherapie, Achtsamkeit und Neurobiologie lasse ich in meine Arbeit einfließen und es macht mega viel Spaß, diese Techniken zu trainieren und zu vermitteln.

Nach allem, was ich erlebt habe, könnte man auch meinen (und ich habe das natürlich auch schon gehört): mach doch jetzt endlich was anderes. Beschäftige dich doch mit leichteren Sachen. Wenn ich gefragt werde, was ich beruflich so mache, dann ist die Nennung meiner Tätigkeit ein echter Party-Crasher. Trauer, Krankheit, Tod – davon will eigentlich keiner was hören. Ich sage dann meistens erst einmal: „Ich begleite Menschen in schwierigen Situationen ihres Lebens und stärke ihr Selbstvertrauen“. Damit ist dann auch schon gut, mehr wollen viele nicht wissen. Die Coolen fragen mit echtem Interesse nach und wollen mehr erfahren. Mit meinen Erlebnissen sowie mit meinem beruflichen Schwerpunkt gehöre ich eben zu einer  – ahhh, da ist es wieder, dieses Wort: Randgruppe. Ist nicht schlimm. Mein und unser Leben ist aber einfach anders geworden. Darüber könnte ich dir eigentlich auch mal was zu schreiben.

Kennst du das auch? Wenn du eine Krise überstanden oder einen Verlust erlebt hast und wieder anfängst zu lächeln, dass viele Menschen in erster Linie erleichtert sind?

Lektion 1 im Randgruppen-Akzeptanz-Prozess lautet also: Versuche immer stark für die Reaktion deines Gegenübers zu sein. Sei auf alles gefasst. Bricht er oder sie in Tränen aus, so tröste. Bekommt er oder sie keine Worte mehr heraus, dann finde welche. Bricht er oder sie das Gespräch abrupt ab und geht, habe Verständnis. Stellt dein Gegenüber eine total bescheuerte Frage oder gibt dir einen total beknackten Ratschlag, dann… kannst du dich ja auch mal wegdrehen und gehen. 🙂

Es ist so anstrengend, in dieser Hinsicht Randgruppe zu sein, weil du lernst, für deinen Gesprächspartner mitzudenken, eine Reaktion vorauszusehen und Stimmungen zu erahnen. Glücklicherweise habe ich gelernt, wann ich Lust darauf habe und wann nicht.

Ich habe gelernt, meine Bedürfnisse ernst zu nehmen und mich abzugrenzen, wenn es nötig ist.

Ich habe durch meine Kinder eine ganz andere Welt kennengelernt. Eine Welt, die nicht heil und trotzdem schön ist. Die brüchig und manchmal sogar ganz labil ist. Ich lernte die kleinen Momente im Leben wertzuschätzen, die mir Kraft und Wohlbefinden geben – trotz allem, was da auch noch ist. Ich bin nicht perfekt. Ich lerne nach wie vor so viel dazu und suche mir neue Lernfelder. Und ich habe auch Ängste und Sorgen, wie jeder andere Mensch auch. Und ich hatte mega viel Schiss, einen Blog anzufangen, obwohl ich seit Jahren schon so große Lust hatte, über meine Arbeit, die Themen Trauer, Stress und Tod, über das Nichtperfekte sowie das große Wort „Trotzdem“ zu schreiben. Nach dem Motto: „Einfach machen!“ starte ich heute damit und möchte dir zukünftig auf diesem Wege hilfreiche Artikel zur Verfügung stellen und mutige Menschen zeigen, die einen guten Umgang mit ihrer ganz eigenen Krise gefunden haben.

Auf bald und bleib gesund!
You are enough!

Deine Tamara

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